Der Tag beginnt mit dem großen Warten an den falschen Stellen: im Stau auf dem Weg zum Flughafen, vor statt im Restaurant, auf das Navi, welches keinen Empfang meldet...
Es ist der Tag der Anreise und wir sind ehrlich: kein Problem, wenn er endlich zu Ende geht.
2,5 Stunden Flug ab Weeze nach Sevilla. Patrick sagt, der Flug sei ruhig gewesen, aber vor Jahren habe ich angefangen, Fliegen anders zu empfinden und bin froh, als wir sicher aufsetzen.
Wir tragen unsere beiden Fotorucksäcke und eine im Verhältnis dazu klein ausfallende Sporttasche mit unseren Wäschestücken zu unserem 1. Hostal in Sevilla: das St. Vicente ll (Adresse s.o.)
Die herzliche Begrüßung von Yamila und Pedro quittieren wir dankbarer als sonst üblich und dafür bekommen wir "Jaén", das schönste Zimmer mit Terasse. Wir kommen gerne an.
Doch bevor der Tag zu Ende geht, erwartet uns ein Highlight!
Unsere Mägen fordern Nahrung, das Hotelier-Paar empfiehlt uns ihre Tapa-Bar, wo eigentlich nur die Einheimischen hingehen. Es ist ein Geheimtipp gleich um die Ecke.
Der Geheimtipp heißt Taberna Azafrán und liegt auf der Luis Montoto, 148. Merkt Euch die Adresse. Und vergesst bei der Gelegenheit gleich Eure Vorstellung von Tapas. Weil wir die 4 Seiten lange Tapa-Karte nicht verstehen, bitten wir den Kellner uns einfach zu überraschen. Er serviert sodann mit leuchtenden Augen ein ums andere Mal Haute Cuisine in naja nicht ganz so kleinen Portionen, bis wir nach 7 Durchgängen schließlich vollständig gesättigt abwinken.
Patrick möchte einen adäquaten Text zu diesem unglaublichen Sinneserlebnis verfassen. Ich sage, das könne man nicht beschreiben! Patrick besteht auf etwas Witziges. Ich sage: "Nein, da hört der Spaß auf. Das ist zu gut." Insgeheim fürchten wir die Rechnung. 7 x Edeltapas, dazu 4 Gläser besten Rotweins und noch div. andere Getränke - wir tippen auf 50 €, die wir gerne bezahlt hätten. Aber die Rechnung beläuft sich gerade mal auf 27 €... Der Kellner bekommt das wohl fetteste Trinkgeld seines Lebens.
Der Bock ist geschossen. Sandra hat das Ladegerät für die Kameras vergessen, die Akkus sind zu 3/4 leer. Die Fotoreise ist vorbei, wir müssen Urlaub machen.
Die verbleibende 1/4 Akkuleistung wird mit Bedacht für Motive ausgegeben, die Sevilla uns liefert. Wir durchschlendern die Altstadt, schauen uns den Palast an, erstehen einen chemischen Flamencofächer und probieren Tapas. Diese sind besser als alles, was man in Deutschland bekommt, dennoch fallen sie leider meilenweit von dem ab, was wir gestern an Tapas bekommen haben.
Überall in Sevilla lauern einem Handleserinnen auf. Ich werde meine große Liebe treffen, Kinder bekommen und in einem schönen Haus leben. Nostradamus hätte es nicht treffender schildern können. Ach, und bezahlen muss ich für mein Leben auch noch. "He, große Liebe", ich wende mich Patrick zu, "hast Du mal 50 Ct. klein?"
Während uns die Architektur manchmal eine Fiction Welt vorgaukelt, machen die Menschen darin das Stadtbild wieder real und aktuell. Uns gefällt die Mischung aus einst und heute.
Freudentränen, wir haben das Ladegerät wiedergefunden. Es kann weitergehen. Wir machen uns auf den Weg nach Córdoba, vorbei an Olivenhängen und dem Castillo de Almodóvar del Rio, die wir noch mitnehmen.
Wer sich für die gierigen Geschichten des Peter des Grausamen interessiert, kann sich hier und hier umfassend informieren. Eine angesagte Hochzeitslocation ist es inzwischen übrigens auch.
Übrigens: 29. Oktober 2013 - 29° C... nur, damit das klar ist.
Wir erreichen Córdoba, irgendwie. Die Beschilderung in Andalusien ist eine sprunghafte Diva, ohne Navi (unser Leih-Opelcorsa hat einen defekten Zigarettenanzünder) müssen wir uns auf herkömmliche Weise orientieren, was Ihr ja mal versuchen könnt. Unser erster Weg führt zum Al Katre Backpacker neben der berühmten Mezquita, das wir klugerweise im Voraus gebucht haben.
Welch eine Sensation! Eine echte Perle auf unserer Reise, die es verdient, in die Top-Adressen-Liste aufgenommen zu werden. Bittet hier um das Habitación "VIP", auch wenn es etwas mehr kostet (50 € / Nacht).
Den sagenhaften 3-D Effekt in seiner schieren Größe kann man fotografisch kaum wiedergeben. Wir setzen auf Eure Fähigkeit, die nachfolgenden Bilder im Kopf zu vergrößern. Die Mauren begannen das Bauwerk 785 n. Chr. und ahnten nicht, dass im 16. Jahrhundert die Moschee von den Christen eingemeindet und zur Kirche umgewandelt wird, indem sie mitten ins Herz der Moschee eine Kathedrale setzen. Schräg oder nicht: hier messen sich architektonisch zwei Weltreligionen. Wir finden, die Mauren haben gewonnen. Um dieses Weltkulturerbe einmal mit (Sandras) Fachbegriff zu beschreiben: "...cooles Teil!".
Es ist 21h, wir könnten uns für Tiefschlaf begeistern, während die Spanier gerade mal zum Abendbrot aufbrechen. Wir stolpern durch das Abendgewirr von Córdoba und außerdem in ein fürchterliches Touristenrestaurant. Aus gutem Grund. Denn innen wird Flamenco getanzt, gesungen und gespielt. Wir sind sprachlos und fotografieren heimlich am "Fotografieren verboten"-Schild vorbei.
Granada, das klingt wie eine Offenbarung. Aber diese Stadt erweist sich im ersten Moment als eine ganz normale laute und stinkende Stadt mit Stau und genervten Menschen, allerdings schöneren Gebäuden.
Es begegnen uns diesmal keine Handleserinnen, dafür lauern uns Taschentuchverkäufer auf, die den Smok aus den Nasen halten sollen.
Sandra mischt sich unter die Schar der Genervten, Patrick versucht, die Stimmungsflagge hochzuhalten. Er schafft es, indem er uns ins Albayzin führt, der Altstadt von Granada. Wie zufällig steht dort, mitten am Plaza Nueva, auch gleich unser Hotel.
Albayzin - das sind arabische Gassen mit Seitenstraßen von großer Schönheit. Hier tummelt sich die Künstlerszene, die Studenten, die arabischen Händler. Gepflegte Gärten hinter weißen Mauern, überhaupt sind die Städte Andalusiens auffallend sauber und instandgehalten.
Zu jedem Glas Wein werden kostenlos Tapas gereicht. Wir müssen ordentlich aufpassen. Gleichzeitig verstehen wir die Krise in Spanien.
Wir erleben einen Temperatursturz von 29° auf 27° und ziehen uns ein T-Shirt mit kurzen Ärmchen über, während wir mit einem kühlen Glas Bier dem Flamencoensemble vor unserem Hotel zuschauen.
(Fotos Albayzin)
Ja, ganz recht, Granada ist auch die Heimat eines der Weltwunder, der Alhambra, zu der man sich die Eintrittskarten am besten vorab im Internet bestellt. Es wird nur eine begrenzte Besucherzahl eingelassen.
Es ist frisch morgens. Wir sind mit die ersten Besucher und freuen uns über all die Spätaufsteher, die uns so lange ihren Platz überlassen. Die Fotos sprechen für sich, auch wenn mir persönlich die Mezquita in Córdoba besser gefallen hat.
(Fotos Alhambra)
Den Rest des Tages verbringen wir mit dem Erforschen jedes einzelnen Winkels der Albayzin. Wir trinken Cana an allen schönen Ecken, saugen die Sonne ein und freuen uns auf den Tapa-Tipp am Abend.
(Fotos Albayzin)
Taberna La Tana
Das ist der Name des Tapa-Tipps für den Abend. Als Geheimtipp gelobt im Marco-Polo-Reiseführer. Wir müssen hin. Es liegt in einer unscheinbaren Seitenstraße, die wir mangels Straßenschilder lange suchen mussten. Von außen sieht die Tapa-Bar herrlich gemütlich aus, leider ist sie noch geschlossen. Derweil schrauben wir unsere Erwartungen in der um die Ecke gelegenen Bar hoch, bis es Zeit ist, rüber zu gehen. Sandra versucht´s mit dem Ausstieg durch das Fenster, von dem sie glaubt, es sei die Tür. Es endete in einem peinlichen "bäng". Wir finden die Tür daneben.
Die Taberna La Tana in der Calle Rosario, 11, gepriesen für hervorragende Tapas und gutem Wein. Wir bestellen die "Chef-Selection" und drehen anschließend die Reihenfolge um: es sei besser gepriesen für guten Wein, zu dem es Tapas gibt. Die Tapas sind - im Vergleich zu der Tapa-Bar in Sevilla - eigentlich nicht der Rede wert. Es handelt sich um gut belegte Toast mit iberischem Schinken und anderen Spezialitäten. Sehr schmackhaft, aber wir wissen: da geht noch mehr - und reagieren zunächst enttäuscht. Dann jedoch ändern wir unsere Einstellung und wenn man die Bar als Vinothek betrachtet zu der es auch leckere Toasts gibt, wird es ein Geheimtipp. Trotzdem: für die Aufnahme in unsere Top-Adressen reicht es dennoch nicht. Schade für die sehr nette Bedienung.
Dafür geht´s weiter ins Kasbah teteria restaurante in der Calle de la Calderería Nueva, 4, einem arabischen Restaurant im Albayzin. Patrick, weil er Hunger hat, ich, weil ich unbedingt in eins dieser hübschen arabischen Lokale gehen möchte.
Hach, der Schein, der trügerische Schein. Wir dummen Touristen sind reingefallen und plötzlich sehen wir, dass eigentlich das gesamte Albayzin nur auf dumme Touristen wie uns wartet. Der Verdrängungsapparat wird eingeschaltet. Wir setzen uns in die gemütlichste Ecke - autsch, ist das hart. Das sah doch aus wie eine Kuschelkissenbank?! Aufgebockt studieren wir also die 4-sprachige Speisekarte.
Das Erkennen, in eine Falle gelaufen zu sein, kämpft sich erneut durch den Verdrängungsapparat. Wir schauen, wir hören uns um. Die Hintergrundmusik, spielen die ernsthaft amerikanische Pophits auf peruanischer Panflöte in einem arabischen Restaurant? Die Erwartung wird noch weiter nach unten angepasst, der servierte Wein allerdings unterbietet selbst diese. Wir befinden uns auf dem Niveau von Spülwasser. Was bin ich froh, nur "Andalusia" Tee bestellt zu haben, der allerdings wiederum der Gattung der Aphrodisiaka angehört. Was man nicht merkt, man merkt ja auch nicht das Huhn im Hühnchenragout.
Schallend lachend verlassen wir die maurische Scheinwelt.
Wusstet Ihr eigentlich, dass Andalusien weiße Dörfer hat, die pueblos blancos? Nein, sag an! Doch! Ok, das ist keine wirkliche Überraschung. Oder doch? Aber ja, sie sind wunderschön. So wunderschön, wie sie da in den Bergen der Sierra Nevada vor sich hin leuchten, dass wir glatt auf die Idee kommen, einen Abstecher ins tiefe Innere des Hinterlandes zu machen. Wir freuen uns, solch schöne Aussichten zu erleben und bleiben für ein Weilchen einfach nur in der Sonne sitzen, das Leben und die Freiheit genießend.
(Fotos weiße Dörfer und Teppiche)
Aber eigentlich steuern wir Ronda an, die sog. Königin der weißen Dörfer. Ihre Hauptattraktion ist jene kleine Brücke über eine mehr als 100 Meter tiefe Schlucht des Rio Guadalevin, die die Altstadt La Ciudad und den uninteressanten Rest voneinander trennt. Unser poetisches Hotel El Poeta de Ronda liegt sozusagen auf der richtigen Seite, direkt am Ort des Geschehens. Rondas Brücke ist, so erzählt man uns, außerdem beliebt bei Selbstmördern.
Was sollen wir sagen, die Mitte der Brücke fühlt sich eindeutig besser an...
(Fotos Ronda)
Ferner erzählt man uns, dass es da wieder so ein Lokal für Einheimische gäbe, das bodega, wo man günstig und dafür sehr gut essen könne. Tatsächlich macht uns das Essenprobieren im Ausland großen Spaß.
Verdammt, warum investiert denn hier niemand in eine vernünftige Beschilderung? 1 Stunde lang irren wir durch ein Bonzenviertel, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint. Die Autobahnzufahrt wird hier als das ganz große Geheimnis gehütet. Vermutlich wegen der NSA?!
Völlig entnervt, bereit, querfeldein durch die Vorgärten zu fahren, finden wir irgendwann heraus. Unser Ziel: das Meer, die Meeresenge von Gibraltar, Tarifa.
Wie das klingt: die Meerenge von Gibraltar. Das ist so, das ist so... groß?! Wenn ich mir vorstelle, dass wir so ganz ganz nah..." (was kommt jetzt, denkt sich Patrick, dass wir so nah an Arabien, Afrika, am Meer sind, an der Sonne?)... "am Ende von Spanien sind?!".
Da stehen wir tatsächlich kurz vor Tarifa, uns gegenüber zum Greifen nah liegt Afrika. Wir sind ergriffen. Die Windräder können es nicht besser ausdrücken. Mir rollen die Tränen hinab.
(Fotos von Windrädern)
Einige Kilometer weiter ist Tarifa, das Kite-Surfer-Paradies. Der Wind, das Licht, die Tatsache an sich, die bunten Kites...
Sandra hat die Welt verlassen. Sie ist ganz in ihrem Fotouniversum veschwunden, dass sie nicht mal merkt, wie neben ihr ein Kite aus großer Höhe hinabsaust und nur wenige handbreit neben ihrem Kopf auf dem Boden aufkracht. Patrick ist vor Schock sauer und will nicht mal die schönen Fotos sehen.
(Fotos Kites - 6)
Doch unser Endziel liegt in Bolonia, einem 50-Häuser-Dorf unweit von Tarifa. Wir beziehen unser Zimmer und genießen den blanken Life-Luxus.
(Foto Zimmer und Ausblick)
Ab jetzt machen wir nur noch Urlaub. Genug gesehen, wir gehen spazieren, genießen den letzten Tag unserer Andalusien-Reise, laufen einfach drauflos. Und Patrick findet sein Fleckchen auf dieser Welt.
(Fotos Patrick und Paradies)
Wir planen
wir träumen
und gehen zum Abschluss noch mal essen.
Würdig. Sehr würdiger Abschluss! Ganz grandiose Perle, mit der keiner gerechnet hat. Das Restaurant Las Rejas. Dass hier schon das Fernsehen war und dass das Restaurant andalusienübergreifend bekannt ist, konnten wir nicht wissen. Uns fiel dieses Restaurant auf, weil es immer proppenvoll ist und das zu vollkommen unüblichen Zeiten.
Unser Plan: wir probieren endlich Paella (versteht ihr - Spanien...he :)! Aber davor serviert uns die sehr verbindliche Kiki, weiblicher Oberhaupt des Familienbetriebs, ihren selbsterfundenen Spezial-Tomatensalat. Totaler Suchtfaktor! So: Geheimtipp! Egal, was jetzt noch kommt, das Geheimtipp-Prädikat steht!
Und es kam immer noch besser, Paella - hmmm, Flan mit weißem Nougat... oaaah (Sandra mag gar keinen Nougat, warum ißt sie mir den Teller leer?)
Fazit:
Den besten Tapas-Laden fanden wir am Anfang unserer Reise in Sevilla - das beste Andalusische Restaurant schloss unsere Reise in Bolonia ab. (Fotos Las Rejas)
Und damit endet unser letzter Abend, bevor wir am nächsten Morgen Richtung Jeréz aufbrechen, um durch Wind und Regen zurück nach Weeze zu fliegen.